Sunday, March 16, 2025

Silke Lambeck - Die Ahoibande

Die Ahoibande von Silke Lambeck erzählt von den Erlebnissen einer Gruppe von Kindern auf der fiktiven Insel Süderhoorn. Willi, Paule (eigentlich Pauline), Paules kleiner Bruder Jojo und Schulz (eigentlich Marko und aus Berlin) schließen sich zu einer Bande zusammen. Mit dabei ist auch immer Willis Hund Ohdsschie. In lockerem und oft witzigem Ton erfahren wir einiges über das Inselleben und die Eigenarten der Kinder. 
Das Buch ist in neun Kapitel eingeteilt, in jedem Kapitel steht ein anderes Kind im Mittelpunkt, was zu unterschiedlichen Sichtweise und Erlebnissen führt.

Die Zielgruppe sind Grundschüler:innen, aber das Buch eignet sich auch gut zum Vorlesen. Mir haben die Geschichten Freude gemacht und die Illustrationen von Lena Hesse werten das Buch noch einmal deutlich auf. 

Silke Lambeck, Die Ahoibande. Gerstenberg, Hildesheim 2025.

Jason Reynolds - Ghost

Ghost ist der erste Band einer vierbändigen Serie von Jason Reynolds über ein Laufteam. Benannt sind die Bände nach den jeweiligen Protagonisten. Ghost ist der Spitzname von Castle Cranshaw. Er lebt in einer finsteren Wohngegend einer nicht näher benannten Stadt in den USA. Ghost ist oft wütend und gerät deswegen auch oft in Konflikte in der Schule, auch wenn er genauso oft nicht die alleinige Schuld daran trägt. Sein großes Geheimnis: Sein Vater sitzt im Gefängnis, weil er gedroht hat, seine Mutter und Ghost zu erschießen. Die beiden konnten fliehen...wegrennen..., doch seitdem sind die Dinge schwierig. Eines Tages stolpert Ghost per Zufall in das Lauftraining eines Teams, dass sich Defenders nennt. Er rennt - aus dem Stand - gegen eines der Teammitglieder und ist genauso schnell! Gegen alle Widerstände, die von Ghost selbst und die seiner Mutter, bringt ihn der Trainer ins Team. Und Ghost lernt, wie gut es tut, etwas zu tun, was man gut kann, Lob dafür zu bekommen, und es auch noch mit Menschen zu tun, die ihn schätzen. Natürlich biegt er noch ein paarmal falsch ab, bis er das tatsächlich kapiert.
Die Lesung von Jörg Pohl interpretiert die Stimme und die Emotionen von Ghost hervorragend. Ghost ist clever, emotional und verletzlich, ein guter Beobachter und er entwickelt sich - dank seiner Fehler und dank der Menschen, die sich für ihn einsetzen - weiter. Er ist ein authentischer Jugendlicher, mit typischen Teenagerproblemen, aber auch mit einem Brocken Ballast, der nicht ganz so leicht zu bewältigen ist. Die Botschaft, dass Sport und ein Team bei der Überwindung davon helfen kann, gefällt mir sehr gut. Und es ist eine erfreuliche Abwechslung zu all den Fußballbüchern, denn wer hätte gedacht, dass Laufen so spannend und herausfordernd sein kann? 
Ein wenig erfahren wir in Ghost auch schon von den Charakteren der Folgebände, in denen Jason Reynolds wiederum andere, nicht minder schwere Themen aufgreift. 

Jason Reynolds, Ghost. Hörcompany 2018.

Saturday, March 15, 2025

Terry Pratchett - Heiße Hüpfer

Was für eine schlimmer Übersetzung ist bitte dieser Titel? The Last Continent war treffend, hatte Zusammenhang mit dem Handlungsort und tat niemandem weh. Die "Hüpfer" sind vielleicht doppeldeutig, aber dennoch irgendwie beschämend flachwitzig. Zum Glück ist die Lesung von Rufus Beck wie gewohnt großartig, so dass man schnell grinsend und lachend über den miesen Titel hinwegkommt. Sarkastisch macht sich Pratchett in diesem Band über vieles Australische lustig, welches entsprechend dem Original der letzte Kontinent ist. Ein Gott probt dort die Evolution, ohne sie wirklich verstanden zu haben, es hat seit Langem nicht geregnet. Achja, und irgendwie hat es Rincewind dorthin verschlagen, seine Truhe ist kurzfristig vergraben worden, taucht aber rechtzeitig auf, um ihr Ding zu machen. Währenddessen hat der Orangutan-Bibliohekar ein magisches Problem und die Zauberer denken sich, das Rincewind, der mit ihm zusammengearbeitet hat, vielleicht helfen könnte. Es beginnt eine denkwürdige Expedition.
Dieser Band hat viele sehr witzige Stellen, ist aber sicher nichts für Scheibenwelt-Neulinge. Je besser man sich mit australischen Bräuchen und Besonderheiten auskennt, desto amüsanter wird es vermutlich. Der Plot ist aber insgesamt - noch vorsichtig ausgedrückt - holprig, einige Handlungsfolgen sind nur schwer nachzuvollziehen. Das mag vor allem auch noch an dem Element der Zeitreisen liegen, das Pratchett hier auch noch auf die Schippe nimmt und für weitere Verwirrung - beim Lesenden und seinen Charakteren - sorgt. Als Fan sehe ich über die Unzulänglichkeiten hinweg und freue mich an den liebgewonnenen Figuren. 

Terry Pratchett, Heiße Hüpfer. Random House Audio 2009.

Monday, March 10, 2025

Willa Cather - My Antonia

illustration by Władysław T. Benda - first edition of My Ántonia, copyright 1918
My Antonia von Willa Cather (1873-1947) handelt vom Leben im ländlichen Nebraska im ausgehenden 19. Jahrhundert. Der Ich-Erzähler Jim reist in den fiktiven Ort Black Hawk, um bei seinen Großeltern zu leben, nachdem seine Eltern verstorben sind. Zeitgleich kommt dort auch die böhmische Familie Shirmerdas an. Jim bringt der Tochter Antonia Englisch bei und die beiden freunden sich an. Der in fünf Bücher gegliederte Roman verfolgt die verschiedenen Lebensabschnitte von Antonia bzw. Jim. Das erste und längste Buch schildert eindrücklich die Atmosphäre und das Leben auf den abgelegenen Farmen. Die Natur und die Jahreszeiten beeinflussen das Leben der Menschen, besonders die Shimerdas leiden aufgrund ihrer geringen Erfahrung mit der Landwirtschaft unter den harten Bedingungen. 
Antonia ist ein eindrücklicher Charakter. Trotz der ärmlichen und ungünstigen Bedingungen bei ihrer Ankunft in Nebraska und einigen Rückschlägen im Verlauf ihres Lebens, schafft sie es aus eigener Kraft sich angemessenen Wohlstand und familiäres Glück zu erarbeiten. Dies gelingt ihr durch physische und psychische Kraft, sie lässt sich nicht von gesellschaftlichen Normen einschränken, sondern handelt für ihre Zeit und im Rahmen ihrer Möglichkeiten fortschrittlich. Der Ich-Erzähler ist stets voller Bewunderung für ihre Errungenschaften, obwohl er einen vollkommen anderen Lebensweg mit Studium und einem Leben in der Großstadt einschlägt. Mich hat besonders das erste Buch in den Bann gezogen aufgrund Willa Cathers eindringlichen Beschreibungen der Landschaft und der Lebensbedingungen.
Ich kann nun nachvollziehen, warum Willa Cather mit drei Romanen auf der Radcliff Liste der besten Romane auftaucht, auch wenn die Autorin mir lange unbekannt war. Ich setze nun auch noch O Pioneers! und Death Comes for the Archbishop auf die Leseliste.

Willa Cather, My Antonia. Public Domain.

Sunday, March 09, 2025

Anthony McCarten - Going Zero

Going Zero, das bedeutet in Anthony McCartens Roman, dass man unauffindbar bleiben muss. Cy Baxter und sein Team haben eine Software entwickelt, die sämtliche Daten aus Social Media, Daten- und  Kameraüberwachung auswertet, um den Aufenthaltsort eines Einzelnen festzustellen. In einem Betatest versuchen zehn ausgewählte Personen, 30 Tage lang der Entdeckung zu entgehen, um ein Preisgeld von 3 Millionen zu verdienen. Für Baxter eine wichtige Phase, denn es geht um nichts anderes als die Zusammenarbeit mit dem CIA und zukünftige Beteiligung an Regierungseinsätzen seiner Technik.
Man sieht zu, wie die Mechanismen greifen, wie selbst die technisch versierten Testpersonen Fehler machen und von den Programmen aufgespürt und aufgegriffen werden. Übrig bleibt eine Frau, der zumindest Cy Baxter nicht zugetraut hat, lange durchzuhalten. Doch mehrfach entwischt Kaitlyn ihren Verfolgern und es wird klar, dass sie ihr eigenes Ziel verfolgt - nämlich Cy zu zwingen, mit seiner Technologie ihren verschwundenen Ehemann zu finden. 
Der erste Teil des Romans mit den verschiedenen Verfolgungsszenen und den unterschiedlichen Charakteren und ihren Strategien empfand ich als recht spannend. Im zweiten Teil verschob sich der Fokus auf Kaitlyns Agenda und das Thema Datenspeicherung und -schutz bekam eine zusätzliche Ebene, die aber wenig überraschend war. Wir alle gehen davon aus, inzwischen ein weitgehend gläsernes Leben zu führen, gespeicherte Daten sind nie irgendwo sicher und es wird illegal vermutlich alles gespeichert und auch ausgewertet, was man sich nur vorstellen kann. Passend dazu wird der Charakter des Cy Baxter  so willkürlich und unverantwortlich dargestellt, wie nur möglich. Vor dem Hintergrund der aktuellen Machtposition eines anderen Medienmoguls in den USA erregt das Übelkeit. Der Schluss ist wohl plausibel, aber ebenso desillusionierend. 

Anthony McCarten, Going Zero. Diogenes 2023.

Sunday, March 02, 2025

Emily St. John Mandel - Das Licht der letzten Tage

Emily St. John Mandel veröffentlichte Das Licht der letzten Tage im Jahr 2014. Ein agressiver Grippevirus breitet sich rasant aus und tötet weite Teile der Bevölkerung. Die Zivilisation bricht zusammen, nur Einzelne überleben und schließen sich zu kleinen Gemeinschaften zusammen.
Der Roman wird aus der Sicht verschiedener Charaktere erzählt und springt immer wieder zwischen der Zeit vor und nach dem Ausbruch der Krankheit hin und her. Die Personen sind lose miteinander verknüpft, auch wenn sie sich in Alter und in ihren Erlebnissen stark unterscheiden. Kunst und Kultur sind Thema - was bleibt, wenn alle Technologie plötzlich ausfällt? Worauf kann man hoffen, wie lange muss man warten? Das ist den Charakteren gemein - sie glauben an die Schönheit, sie halten fest an Freundschaften, auch wenn es ebenso Böses und Tod um sie herum gibt. Diese Resilienz traut man den Figuren nicht immer zu, gerade in den Rückblenden und zu Beginn des Romans hat man Zweifel, ob sie es in dieser schwierigen neuen Welt schaffen können. Der Autorin gelingt es, am Ende der Hoffnung vielfältig Ausdruck zu verleihen, mit feinen, leisen Tönen, was mir sehr gut gefallen hat.
Das Licht der letzten Tage
führt uns die Vergänglichkeit und Anfälligkeit unserer zivilisierten Welt vor Augen - im Roman ist es ein Virus, während es aktuell in unserer Wirklichkeit andere Dinge sind, die unseren Status Quo bedrohen. Umso wichtiger, sich auf das Wesentliche zu besinnen, sich selbst und die Menschen um sich herum nicht zu verlieren. 

Emily St. John Mandel, Das Licht der letzten Tage. Audio Media Verlag 2015.

Eva Lezzi - Die Großstadtdetektive - Wer schnappt den Dieb?

Eva Lezzis Kinderkrimi Die Großstadtdetektive - Wer schnappt den Dieb? beginnt mit Jonas erstem Tag in der neuen Klasse in Berlin. Das läuft erst einmal nicht gut, sein Sitznachbar Deniz kann ihn offensichtlich nicht leiden. Dann verschwindet Lauras Handy und ausgerechnet Jona und Deniz werden verdächtigt, es gestohlen zu haben. Zwangsläufig tun sie sich als Detektive zusammen, um den wahren Dieb zu entlarven. Das gelingt ihnen aber erst mit weiterer Verstärkung und nachdem sie einige persönlich Hindernisse überwunden haben.
In Die Großstadtdetektive passieren viele (durchaus spannende) Dinge gleichzeitig. Es geht um Andersartigkeit (Jona ist Jude und geht in die Synagoge, Deniz ist Moslem), familiäre Probleme, Fremdsein, Vorurteile, Freundschaft und vieles mehr. Nebenbei klären die Kids nicht nur ein, sondern eigentlich drei Verbrechen auf. Mir ging das alles ein wenig zu schnell und zu einfach. Einige der interessanten persönlichen Aspekte der Charaktere blieben zu oberflächlich. Gefallen hat mir das authentische Berliner Setting und die Atmosphäre. Der Kriminalfall, sogar oder besonders als einer, der für Kinder geschrieben ist, ist nur mäßig spannend, da ihnen die Lösung quasi vor die Füße fällt, obwohl sie mehr als einmal falsch liegen.  

Eva Lezzi, Die Großstadtdetektive - Wer schnappt den Dieb? Beltz & Gelberg 2024.

Teuto: Oerlinghausen - Tönsberg - Hünenkapelle

Die Tour 24 aus dem Rother Wanderführer Teutoburger Wald trägt den Totel "Oerlinghausen – Tönsberg – Hünenkapelle". Das Parken im Ortskern habe ich vermieden und den Startpunkt verlegt, was auch zu einer leichten Kürzung der Tour auf nur 6,5 Kilometer führte (im Original mit 7,3 km angegeben). Im Nachhinein wäre es auch möglich gewesen, am Berggasthaus Tönsberg zu parken, das direkt am Kammweg liegt. Ich habe noch einen Schlenker über den Philosophenweg gemacht, der im Original nicht vorgesehen ist. Man kommt am Mühlenstumpf "Kumsttonne" und am Gefallenendenkmal vorbei und folgt über einige Strecken dem Hermannsweg. Beeindruckend ist auch die Hünenkapelle und am Ende liegt noch ein Kneipptretbecken, bei den eher niedrigen Temperaturen aber eher nicht empfehlenswert. Der Wald weist an einigen Stellen Lücken durch Borkenkäfer bedingte Rodungen auf, dafür hat man an mehr Stellen weite Ausblicke. 
 
 
 
Blick auf Oerlinghausen
 
Zitat von Alan Turing auf dem Philosphenweg 


Hünenkapelle 

#hermanntrifftmanimmer


Kneipptretbecken an der Sachsenquelle


Saturday, March 01, 2025

Mikael Niemi - Die Flutwelle

Im Norden Schweden hat es viel geregnet und die Staudämme des Flusses Luleälv sind voll. Im obersten Staudamm entsteht ein Riss - der Beginn einer Flutkatastrophe riesigen Ausmaßes. Die Flutwelle von Mikael Niemi beleuchtet die Einzelschicksale einiger Personen mit unterschiedlichen Ausgangslagen: Der eigentlich zum Selbstmord entschlossene Hubschrauberpilot, eine Künstlerin, die als einzige ihrer Malgruppe rechtzeitig das Flussufer verlässt, eine Schwangere, die sich an ein wegtreibendes Haus klammert, oder auch die zwei Mitarbeiterinnen des Energiebetreibers, die in eine unerträgliche Situation mit einem Kollegen geraten.
Der Klappentext sagt: "Sie kämpfen nicht nur ums Überleben, sondern auch um ihre eigene Menschlichkeit." Tatsächlich habe ich genau das wenig nachempfinden können, denn einige der Charaktere verhalten sich geradezu unerträglich brutal und rücksichtslos. Es scheint, als wäre ihre Brutalität nur knapp unter der Oberfläche verborgen gewesen und bricht sich in dieser Situation hemmungslos Bahn. Das war für mich teilweise jenseits des Erträglichen, auch wenn es natürlich entsprechende Gegenpole unter den anderen Charakteren gab. Obwohl einige der Figuren miteinander in Beziehung stehen, blieb Die Flutwelle dennoch eher episodenartig und nur lose verknüpft. Der Fluss wird oftmals als Metapher für das jeweilige Innenleben der Charaktere genutzt, was manchmal gut, manchmal weniger gut gelingt.
Insgesamt konnte mich Die Flutwelle nicht begeistern, die meisten Charaktere blieben mir fremd, trotz (oder vielleicht auch wegen) ihrer Unterschiedlichkeit. 

Mikael Niemi, Die Flutwelle. Saga 2014.

Sunday, February 23, 2025

Michael Kobr - Nebel über Rønne

Nebel über Rønne ist nach Sonne über Gudhjem der zweite Fall von Michael Kobr, für dessen neuen Ermittler Lennart Ipsen auf der dänischen Insel Bornholm. Besagter Nebel liegt über dem Flughafen der Insel, als eine kleine Privatmaschine landet. Alles ganz nach Plan - nur reagiert dann niemand mehr auf die Funksprüche des Towers. Alle drei Insasssen, der Pilot und zwei Passagiere, sind tot und Opfer eines ausgeklügelten Mordanschlags geworden. Lennart und seine zwei Kolleginnen beginnen, im Umfeld der drei sehr unterschiedlichen Opfer zu ermitteln, immer mit dem Zweifel im Nacken, ob sie diesen Fall bewältigen können oder doch in Kopenhagen um Hilfe bitten müssen.
Lennart Ipsen und sein Team bleiben auch in diesem zweiten Fall sympathische Charaktere, es wird solide ermitteln, langsam, aber stetig nähern sie sich möglichen Motiven und Zusammenhängen. Die Aufklärung gefiel mir nur mittelmäßig, das war dann doch etwas übers Knie gebrochen. Die lokalen Bezüge zur Insel haben mir viel Freude bereitet. 

Michael Kobr, Nebel über Rønne. Goldmann 2024.

Friday, February 21, 2025

Paul Lynch - Das Lied des Propheten

Das Lied des Propheten des irischen Autors Paul Lynch gewann 2023 den Booker Prize. Der dystopische Roman spielt in einem fiktiven Irland, das sich innerhalb des Romans in einen totalitären Staat verwandelt. Dabei wird nicht erzählt, was politisch konkret geschieht, sondern man erlebt die Auswirkungen der voranschreitenden Kontrolle und Unterdrückung durch die Augen von Eilish Stack. Sie ist verheiratet, hat vier Kinder und kümmert sich auch noch um ihren Vater, der an Demenz leidet. Der Erzählstil ist eigenwillig, wir erleben alles im Präsens und einem sprunghaften und emotionalen Gedankenstrom von Eilish. An der Stelle hat sich das Audiobook als Vorteil erwiesen, denn die Sätze ziehen sich über halbe (oder gar ganze) Seiten hin und es werden kaum Absätze gesetzt (siehe den "Satz" unten).
Man erahnt bereits nach den ersten Seiten, wo die Geschichte enden wird, sieht Eilish die Zeichen in den Wind schlagen, sie ignoriert, was passiert, glaubt naiv an die Kehrtwende und schlägt konkrete Hilfsangebote aus. Gleichzeitig versucht sie sich selbst stets zu überzeugen, dass sie nur das Beste für ihre Kinder tut, nur um am Ende in einem Worst-Case-Flucht-Szenario zu landen. Und hier liegt wohl auch Lynchs Botschaft: Wir haben all das schon oft gesehen - die Entwicklung eines Staates hin zu einem totalitären Gebilde, die die Freiheit einschränkenden Gesetze, die Verfolgung von politischen Gegnern und Randgruppen, die Bildung von militärischen Gruppen zur Kontrolle, das brutale Niederschlagen des Widerstand, die Inhaftierung, Folter und Tötung - all das kennen wir. Und niemals, so glauben wir, wird das in unserem Staat geschehen. Wie könnte es?
Die Geschehnisse überfordern die Einzelnen, so wie es Eilish überfordert, lassen sie ungläubig und in Schockstarre im Moment verweilen, während die Emotionen sie zusätzlich überwältigen, weil alle Menschen, die ihr etwas bedeuten, bedroht sind. Diese zunehmende Bedrohung habe ich während des Hörens stark mitempfunden, sie schreitet zunächst langsam, aber sehr konkret und dann auch schneller voran. Man möchte sich selbst glauben machen, man würde in der gleichen Situation schneller verstehen, anders handeln als Eilish, aber kann man sich da sicher sein? 

Paul Lynch, Das Lied des Propheten. Klett Cotta 2024.

 

"Sie schaut zum Himmel, sieht zu, wie der Regen durch den Raum fällt, und auf dem verrotteten Hof ist nichts zu sehen, nur die Welt, wie sie auf sich selbst beharrt, der gemächlich bröckelnde Zement dem aufsteigenden Saft darunter weicht, und wenn der Hof einmal Vergangenheit ist, bleibt noch das Beharren der Welt, einer Welt, die darauf beharrt, kein Traum zu sein, und dennoch gibt es für den Betrachter kein Entrinnen aus dem Traum und dem Preis des Lebens, der Leiden ist, und sie sieht ihre Kinder in eine Welt von Hingabe und Liebe geboren und sieht sie verdammt zu einer Welt des Terrors, sie wünscht, dass es mit einer solchen Welt zu Ende geht, wünscht der Welt ihre Zerstörung, und sie blickt auf ihren kleinen Sohn, dies Kind, das unschuldig bleibt, und sie sieht, wie sie mit sich selbst in Konflikt geraten ist, und ist bestürzt, sieht, dass aus Terror Mitleid entsteht und aus Mitleid Liebe, und mit Liebe kann die Welt wieder errettet werden, und sie kann sehen, dass die Welt doch nicht endet, dass die Vorstellung, die Welt ende durch ein plötzliches Ereignis zu ihren Lebzeiten, nur selbstgefällig ist, dass das eigene Leben endet und nur das, dass das, was die Propheten singen, nur das Lied ist, das in allen Zeiten gesungen wird, die Zukunft des Schwerts, die Welt von Feuer verzehrt, die Sonne um Mittag in die Erde gesunken und die Welt in Dunkelheit gehüllt, der Zorn eines Gottes im Mund eines Propheten inkarniert, der gegen die Gottlosigkeit wettert, die vertrieben werden wird, und der Prophet singt nicht vom Ende der Welt, sondern davon, was getan worden ist und was getan werden wird und was manchen angetan wird, aber nicht anderen, dass die Welt immer wieder aufs Neue an einem Ort endet, aber nicht an einem anderen, und dass das Ende der Welt immer ein lokales Ereignis ist, es kommt in dein Land und besucht deine Stadt und klopft an die Tür deines Hauses und wird für andere nur eine ferne Warnung, ein kurzer Bericht in den Nachrichten, ein Echo von Ereignissen, das in die Folklore eingegangen ist, Bens Lachen hinter ihr, sie dreht sich um und sieht, wie Molly ihn auf ihrem Schoß kitzelt, und sie betrachtet ihren Sohn und sieht in seinen Augen eine strahlende Intensität, die von der Welt vor dem Sündenfall kündet, und sie geht weinend auf die Knie und nimmt Mollys Hand."

Wednesday, February 19, 2025

Kevin Hearne - Gehetzt

Der Protagonist von Gehetzt von Kevin Hearne ist ein über 2000 Jahre alter, irischer Druide. Zurzeit lebt er mit seinem niedlichen Wolfshund Oberon unter dem Namen Atticus in Arizona, da er dort aufgrund der geographischen Lage vor vielen seiner Gegner aus der Götter- und Feenwelt unbehelligt bleibt. Dort betreibt er einen kleinen Esoterik-Tee-Buch-Laden. Er besitzt ein mächtiges Schwert namens Fragarach, das ihm seine Feinde nun abnehmen wollen, woraus sich für ihn zahlreiche Unannehmlichkeiten in Form von Angriffen und Intrigen ergeben. Atticus muss ständig auf der Hut sein, aber verfügt auch über beeindruckende magische Ressourcen. Aufgrund ihrer großen Zahl können die verschiedenen Kreaturen rund um Atticus schon etwas verwirrend sein - einige der intriganten Verstrickungen versteht auch der Druide erst nach und nach und ist entsprechend angezickt, derart instrumentalisiert zu werden. Beim großen Showdown ist er auch auf seine Allianzen und Hilfe angewiesen, um siegreich zu sein.
Interessant an Gehetzt ist sicher die humorvolle Weise, wie sich der uralte Druide in der modernen Welt bewegt und anpasst, während
sich unter der Oberfläche alle Arten von Magie und andersartigen Wesen und Gottheiten tummeln. Manchmal ist es fast ein bisschen zuviel, was da alles geschieht und wie düster einander da nach dem Leben getrachtet wird. Als Kontrapunkt dazu ist Atticus freundlich zu den Menschen um ihn herum, sei es die irische Witwe aus der Nachbarschaft oder die schrägen Kunden in seinem Laden, und als Bonus bekommt man auch noch einige lustige Dialoge mit seinem Wolfshund dazu. Das schnelle Erzähltempo mit vielen Actionszenen macht das ganze zu einer leicht überladenen, aber unterhaltsamen Fantasylektüre. 

Kevin Hearne, Gehetzt. Klett-Cotta 2011.

Sunday, February 16, 2025

Maren Schwarz - Inselfeuer

Inselfeuer von Maren Schwarz ist der erste Band einer Krimireihe um die Rechtsmedizinerin Leona Pirell. Ausgerechnet in ihrer Nachbarschaft in einem kleinen Ort auf Rügen brennt ein Ferienhaus nieder, in den Trümmern wird ein Toter gefunden, der als Enoch Zwill identifiziert wird. Seine Witwe Berit wird verdächtigt, doch Leona glaubt nicht an ihre Schuld. Sie beginnt ihre eigenen Ermittlungen, obwohl ihr Freund, der Hauptermittler in diesem Fall, absolut dagegen ist.
Was folgt ist ein recht krudes Durcheinander von Ermittlungsansätzen, bei der suspekte DDR-Machenschaften, Genkrankheiten und ein alter Mordfall einander bedingen. Leona merkt, dass sie eigentlich ihre Erkenntnisse der Polizei oder der Witwe offenlegen sollte, aber sie entscheidet sich stets dagegen. Auch als sie sich dem Kern des Motivs nähert, ignoriert sie die mögliche Gefahr, die von einem in die Ecke gedrängten Täter ausgehen könnte. Ab hier "Achtung Spoiler": Es folgt ein seltsam unspektakulärer Showdown, bei dem Leona die wesentlichen Momente amnesieartig vergisst und Berit per Zufall weiß, wohin der Täter Leona verschleppt haben könnte. Nachdem der Täter nun bekannt ist, wird irrigerweise darauf bestanden, dass man nur nach seiner Leiche sucht, was der Cliffhanger dann widerlegt. 
Leider passte in diesem Krimi fast nichts zusammen: Der Plot war holprig, die Protagonistin und auch der polizeiliche Ermittler handeln so oft so ungeschickt, dass man sich fremdschämen muss, und die Auflösung war zwar vielleicht schlüssig, aber so sehr auf Fortsetzung bedacht, dass es auch wieder peinlich war. Auch sprachlich konnte ich dem Ganzen nichts abgewinnen, weil man teilweise die nächsten Sätze inklusive Formulierung erraten konnte, eher einfach also. Der Lokalkolorit von Rügen, weswegen ich Inselfeuer überhaupt ausgewählt hatte, kommt recht detailliert daher, konnte aber die ganzen negativen Aspekte leider nicht augleichen. 

Maren Schwarz, Inselfeuer. Saga 2022.